Während eine militärische Intervention der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas mit Sitz in Nigeria im von Putschisten regierten Niger immer wahrscheinlicher wird, spitzt sich die humanitäre Lage im ärmsten Land Afrikas weiter zu.

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Das Internationale Rote Kreuz warnt vor einer humanitären Katastrophe in Niger. In dem riesigen und zugleich bitterarmen Land in der Sahel-Zone fehlt es vor allem an Lebensmitteln. Hauptgrund dafür ist das von der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas gegen den Niger verfügte und von Deutschland und der EU maßgeblich unterstützte Embargo, als direkte Folge des Militärputsches in Niger Ende Juli. Die Grenzen und der Luftraum zum Niger sind dicht, folglich liegt der Handel brach. Zudem hat Nigeria als Hauptlieferant den Strom abgedreht.

Auch der Programmleiter der Welthungerhilfe in Niger, Jameson Gadzirai, warnt vor Lebensmittelknappheit in der mageren Ernte-Periode, in der sich der Niger zurzeit befindet.

Deutschland setzt Entwicklungshilfe aus

"Es ist auch die Zeit, in der es viel regnet und es in bestimmten Gebieten leider auch Überschwemmungen gibt. Unsere Arbeit in dieser Hinsicht bleibt von entscheidender Bedeutung", sagt Gadzirai im Gespräch mit unserer Redaktion.

Zudem hat der Westen, allen voran Frankreich und Deutschland, vorerst die für Niger so wichtige Entwicklungshilfe ausgesetzt. Das bedeutet, dass 24 Millionen Euro deutscher Entwicklungshilfegelder nicht weiter fließen. Mit diesem Geld unterstützt Deutschland in Niger etwa die Bildung von Mädchen. Familien erhalten Geld, wenn sie ihre Töchter zur Schule schicken. Auch Gemeinden, die Schulen betreiben oder Gesundheitsstationen aufbauen, konnten dies bislang vor allem dank deutscher Entwicklungshilfe tun. Das alles ist vorerst ausgesetzt.

Gadzirai betont, dass insbesondere die armen Gemeinden auf dem Land des 26-Millionen-Einwohner-Staates auf Vorräte aus früheren Ernten sowie Lebensmittelverteilungen angewiesen sind. Es könnte also die nächste Hungersnot und humanitäre Katastrophe nach der am Horn von Afrika drohen.

Niger auf Welthungerhilfe angewiesen

Die Arbeit der Welthungerhilfe sei derzeit noch elementarer als sonst, meint Gadzirai. "Die Welthungerhilfe führt ihre Aktivitäten in den drei Regionen Tahoua, Diffa und Tillabery durch, wo wir Außenstellen und Projektaktivitäten haben. Die Mitarbeiter melden sich zum Dienst und wir halten uns an die normalen Arbeitszeiten. Wir koordinieren unsere Aktivitäten mit anderen humanitären Akteuren und suchen weiterhin nach neuen Mitteln."
Durch die Lieferung von Nahrungsmitteln sowie Geldtransfers trägt die Welthungerhilfe mit Sitz in Bonn nach eigenen Angaben dazu bei, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern.

"Wir unterstützen sowohl Landwirte als auch Viehzüchter durch die Bereitstellung wichtiger Vermögenswerte, Schulungen und die Förderung der Schaffung kommunaler Sparprogramme. Zugleich entwickeln wir gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung Konzepte für eine nachhaltige Ernährungssicherung. Dazu gehört etwa die Einrichtung von Gemüsegärten und Baumschulen", erklärt Gadzirai die schwierige und herausfordernde Arbeit in Niger.

"Grenzschließungen und Stromknappheit als direkte Folge des Militärputsches"

Das südlich der Sahara gelegene Niger, das laut Gadzirai mit "Landdegradation, Wasserknappheit, Klimawandel und starkem Bevölkerungswachstum" zu kämpfen hat, hat humanitär und wirtschaftlich massiv unter dem Putsch zu leiden. "Das Welternährungsprogramm hat einen Anstieg der Lebensmittelpreise, Nahrungsmittelknappheit sowie einen Rückgang der Handels- und Wirtschaftsaktivität aufgrund von Grenzschließungen und Stromknappheit in Niger als direkte Folge des Militärputsches gemeldet", berichtet Gadzirai.

"Die Bewältigungsstrategien der lokalen Gemeinschaften in der derzeitigen Trockenzeit werden überstrapaziert, da das verfügbare Einkommen für die Beschaffung grundlegender Getreideprodukte sinkt und alternative Möglichkeiten zur Beschaffung von Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern durch eine Kürzung der humanitären Hilfe beeinträchtigt werden", analysiert Gadzirai.

Gadzirai berichtet auch von weiterhin stattfindenden Demonstrationen und Sitzstreiks in Niamey, Nigers Hauptstadt, bei denen Unterstützung für die Übergangsregierung zum Ausdruck gebracht wird. Für die meisten Menschen seien die "Alltagsaktivitäten ohne Bewegungseinschränkungen" möglich.

Ex-Präsident appelliert an Putschisten

Am Donnerstag rief der ehemalige nigrische Präsident Mahamadou Issoufou die Putschisten zur Räson. "Ich fordere die sofortige Freilassung von Präsident Bazoum und seine Rückkehr an die Macht", sagte er gegenüber dem französischsprachigen Magazin "Jeune Afrique".

Die Pläne der Ecowas-Bereitschaftstruppe zur "Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Republik Niger" werden derzeit bei einem Treffen in Accra, Ghana, finalisiert, heißt es seitens der Ecowas. Ihr gehören auch Mali, Guinea und Burkina Faso an, sind aber derzeit suspendiert, weil sie ebenfalls von Putschisten regiert werden und die Putschisten in Niger unterstützen – auch im Falle einer Militärintervention. Von den 15 Ecowas-Mitgliedsstaaten sind bis dato nur Nigeria, Senegal, Côte d’Ivoire, Benin und Guinea-Bissau bereit, Truppen für eine Intervention bereitzustellen.

Die Freilassung und Wiedereinsetzung des gestürzten nigrischen Präsidenten Mohamed Bazoum (63) ist auch das erklärte Ziel der Afrikanischen Union (AU), der EU und der UNO. Die nigrische Militärjunta will Bazoum wegen Hochverrats vor Gericht stellen, ihm droht damit die Todesstrafe.

Deutschland, Frankreich und die USA mit wichtigen Militärstützpunkten

Dennoch sei eine friedliche Lösung nach wie vor oberstes Ziel der Ecowas und des Westens, heißt es. Dass die jedoch unwahrscheinlich ist, wird immer offenkundiger. Laut Agenturberichten halten die Militärchefs in Niger an detaillierten Einsatz- und Verteidigungsplänen bei einem militärischen Ecowas-Einschreiten fest. Auch ein Ultimatum der Ecowas gegen die Putschisten zur Freilassung Bazoums ist verstrichen.

Deutschland, Frankreich und die USA haben wichtige Militärstützpunkte in dem Land, das zudem an einer zentralen Migrationsroute nach Europa liegt. Am 26. Juli entmachtete das Militär den Präsidenten Mohamed Bazoum, der wegen seiner arabischen Herkunft in Niger stets umstritten war, und setzte die Verfassung aus. Die Putschisten haben seither eine eigene Übergangsregierung eingesetzt mit dem Brigadegeneral der Armee und früheren Befehlshaber der nigrischen Präsidialgarde Abdourahamane Tiani an der Spitze.

Zur Person: Jameson Gadzirai ist Programmleiter der Welthungerhilfe, kurz WHW, in Niger. Die WHH sitzt in Bonn.

Verwendete Quellen:

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